„Wohnverwandtschaften“ – Familie kann man sich aussuchen

Vier Erwachsene unterschiedlichen Alters leben in einer WG zusammen, ohne jegliche verwandtschaftliche oder partnerschaftliche Verhältnisse, und werden Kapitel für Kapitel doch mehr zur Familie.

Dieser Roman von Isabel Bogdan hat mich neugierig gemacht, weil es um gemeinschaftliches Zusammenleben jenseits gewohnter Szenarien wie Kleinfamilie oder Partnerschaft geht. Weil ich mich schon immer gefragt (und auch dazu experimentiert) habe, wie Zusammenwohnen noch aussehen kann, den Alltag miteinander zu teilen, und auch füreinander da zu sein, wenn einer schwer erkrankt. Der Roman ist eine berührende Antwort darauf und auch eine bewegende Erzählung über Demenz – wie sie sich einschleicht, einen Menschen aus unserer Mitte verschwinden lässt und die anderen immer mehr Verantwortung für ihn übernehmen müssen, bis sie ihn nicht mal mehr eine halbe Stunde lang allein lassen können. Dabei erzählt der Roman von diesem schwerwiegenden Thema mit großer Leichtigkeit.

Die vier Protagonist:innen (Murat, Anke, Constanze, Jörg) mit ihren Nöten, ihrer Begeisterung und ihren Versuchen, Schmerzvolles mal zu verdrängen, mal sich ihm zu stellen, habe ich schnell ins Herz geschlossen. Wohl auch, weil es der Autorin gelingt, jede der Figuren authentisch in ihrer jeweiligen Lebensrealität und Persönlichkeit sprechen zu lassen. Am meisten begeistert hat mich an dem Buch die Wahl der Form, die beim Analysieren komplex erscheint und sich doch so leicht und fließend lesen ließ: Mal erzählt in den Kapiteln alltagssprachlich, monologartig eine der vier Ich-Erzähler:innen, mal wechseln sich in einem Kapitel zwei oder mehr Ich-Perspektiven ab, mal erinnern die Kapitel an ein Theaterskript, in dem nach Namen und Doppelpunkt die wörtliche Rede folgt. Das letzte Kapitel findet noch mal eine ganz eigene und auch wunderbar zum Ende passende Form. Überhaupt hat mich das Ende wie auch die ganze Entwicklung über den 269 Seiten langen Roman sehr berührt.

Eine klare Leseempfehlung für alle, die zu diesen spannenden, gesellschaftlich relevanten Themen eine ebenso leichte wie berührende Lektüre genießen wollen.

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