Mutter UND Revolutionärin?

Ein Muttertagsdankeschön an meine rebellische Mutter und eine Filmrezension zu „Enola Holmes“:

Helena Bonham Carter spielt in „Enola Holmes“ eine Mutter, wie ich sie zuvor noch nie in einem Film oder Buch und auch bei keiner meiner Freundinnen je erlebt hatte. Der Film hat mich auf vielen Ebenen berührt und begeistert – auch die schlagfertigen Charaktere, das feine Schauspiel der großartigen Darsteller:innen, die Collage-Elemente, das Spiel mit der vierten Wand. Aber vor allem wurde mir plötzlich klar, dass ich bis dahin dachte, dass nur meine Mutter so rebellisch ist. Und dass Muttersein und für eine bessere Welt Kämpfen eigentlich nicht zusammengehört, dass das nur zufällig bei mir Zuhause so war. Weil meine Mama eben irgendwie anders ist. Vielleicht, weil sie nicht in Deutschland aufgewachsen ist.
 
„In Ungarn haben die Frauen genauso mit dem Säbel gekämpft wie die Männer!“, erzählte meine Mutter immer stolz Anekdoten aus der ungarischen Geschichte. Und anscheinend habe ich lange geglaubt, dass ich dadurch einen großen Vorteil gegenüber all den anderen Mädchen hier in Deutschland habe: Ich habe ungarische Wurzeln, deshalb darf ich auch kämpferisch sein. Und zugleich bin ich eine Frau in Deutschland, also darf ich eigentlich nicht kämpferisch sein. Aber weil mich meine Mutter stets aufgefangen hat, wenn ich heulend aus der Schule kam, konnte ich mir das Rebellieren dort wenigstens halbwegs leisten.
Der Film: 1884 wird Enola Holmes, die jüngere Schwester des berühmten Detektivs Sherlock Holmes, von ihrer Mutter Eudoria in einem abgelegenen Landhaus in der Nähe Londons erzogen. Unter anderem lernt sie Wissenschaft, Literatur, Kampfsport und Schach. Als die Mutter an Enolas 16. Geburtstag spurlos verschwindet, soll Enola von ihren erwachsenen Brüdern Sherlock und Mycroft Holmes gegen ihren Willen auf ein Mädchenpensionat geschickt werden. Doch mit Geld, das ihre Mutter für sie versteckt hat, flüchtet Enola nach London. Auf der Reise wird sie in ein Verbrechen um einen jungen Lord verwickelt, dessen liberale Haltung die Wahlen in England beeinflussen könnten, und beschließt, den Fall zu übernehmen.

Die Enola-Holmes-Krimis sind eine Jugendromanreihe der US-amerikanischen Autorin Nancy Springer, die sich um eine junge Detektivin dreht, in einer Welt, deren alte Machtstrukturen allmählich aufbrechen. Der erste „Enola Holmes“ Film wurde 2020 auf Netflix veröffentlicht und erhielt viele positiven Kritiken, der zweite folgte 2022.

Bis ich „Enola Holmes“ 2023 auf dem Bildschirm begegnet bin, hatte ich das Gefühl, dass ich mit meiner Geschichte ganz alleine bin. Dass ich die einzige Tochter bin, die von ihrer Mutter zum Kämpfen erzogen wurde – zum Hinterfragen, Selberdenken und Kämpfen gegen Büstenhalter und andere Korsetts, die die meisten Frauen des 21. Jahrhunderts immer noch tragen, als hätte es Feminismus nie gegeben.

„Die Frauen in Deutschland haben in den 70ern ihre BHs verbrannt als Zeichen der Befreiung von den Männern und jetzt sollen sie wieder Reizwäsche tragen?“, rief meine Mutter empört, als ich eines Tages aus der Schule kam und von dem neuen Trend meiner Freundinnen erzählte. Die behaupteten nämlich u. a., Frauen würden BH tragen und solange man keinen trage, wäre man keine richtige Frau. Das wussten sie aus Zeitschriften, Fernsehen und von der großen Schwester. Mein Kritischsein verurteilten sie als kindisch.

Es dauerte viele Jahre, bis ich nicht nur in meiner Mutter, sondern auch unter anderen Frauen Verbündete fand. Frauen, die ihr Kind stillen, wo sie wollen. Frauen, die ihre Haare wachsen lassen, wie es ihnen selbst gefällt. Frauen, die nicht in der Disco nach der großen Liebe suchen, sondern sich mit all ihrer Liebe in Kunst, Politik und Gemeinschaften einbringen. Frauen, die nicht nur monogame, heteronormative, sondern auch polyamore Beziehungsformen leben (z.B. Schwesternschaft als Familie und wechselnde Sexualpartner:innen aus Abenteuerlust).

Ich bin so dankbar, dass die Generationen nach mir auf der Leinwand Geschichten wie „Enola Holmes“ erleben dürfen. Ich hoffe, es macht sie mutiger und unangepasster. Die Welt braucht mehr Mütter, die Revolutionärinnen sind. Und ich bin zutiefst dankbar für meine Mama, die sich auch heute noch im Kleinen und Großen für eine gerechtere Welt für alle einsetzt.

Welche Frauen inspirieren euch? Und habt ihr den Film schon gesehen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert